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Die „Potsdamer Konferenz“ im Juli/August 1945 – Ein Rückblick
Zwischen dem 17. Juli und dem 2. August 1945 (mit einer Unterbrechung am 26. und 27. Juli), tagten im Schloss Cecilienhof in Potsdam die Regierungs- bzw. Staatschefs der drei Großmächte, die „Großen Drei“, Harry S. Truman, Josef Stalin, Winston Churchill und ab 28. Juli anstatt Churchill der neu gewählte Premierminister Clement Attlee.
Diese Repräsentanten von USA, UdSSR und Großbritannien fassten ihre Beschlüsse, Vereinbarungen und Absichtserklärungen in einem Verhandlungsprotokoll (Protocol of Proceedings) zusammen. In rechtlicher Hinsicht handelt es sich nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag, sondern (nur) um das Schlusskommuniqué einer internationalen Konferenz.
Die Kurzfassung wurde als „Amtliche Verlautbarung über die Drei-Mächte-Konferenz von Berlin“ im Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1/1946, Seiten 1 bis 20, in englischer, französischer, russischer und deutscher Sprache veröffentlicht.
Im Artikel XIII dieser „Verlautbarung über die Drei-Mächte-Konferenz“ ist die „ordnungsgemäße und humane Überführung der deutschen Bevölkerung aus Polen (das heißt: aus Schlesien, Ostbrandenburg, Hinterpommern, der Stadt Danzig und dem südlichen Teil Ostpreußens), der Tschechoslowakei und Ungarn nach Deutschland“ behandelt.
Die Alliierten hatten bei Konferenzbeginn von den bereits seit Ende Mai 1945 stattfindenden gewaltsamen Massenvertreibungen Kenntnis. In diplomatischen Noten ersuchten sie die tschechoslowakische Regierung, weitere Ausweisungen der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakischen Republik einzustellen bis sie und der Alliierte Kontrollrat alle mit der „Überführung“ auftretenden Probleme geprüft hätten.
Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland forderte am 4. Oktober 1945 die Regierung der Tschechoslowakischen Republik erneut auf, den Abtransport von Deutschen einzustellen, bis ihre ordnungsgemäße Überführung entsprechend den Bestimmungen der Potsdamer Konferenz durchgeführt werden könne.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden zehntausende Landsleute eingekerkert, auf bestialische Weise gefoltert, grausam umgebracht oder vor / bei den „wilden Vertreibungen“ im Sommer 1945 auf den Straßen zu Tode gemartert oder erschossen. Meist weiß man nicht einmal, wo sie begraben worden sind. Viele starben als Folge von Misshandlungen, Hunger, Entkräftung und Epidemien. Sehr hoch war die Sterblichkeitsziffer bei Neugeborenen, Kleinkindern und ältern Leuten. Unsägliches Leid traf die Angehörigen in ihrer großen seelischen und materiellen Not.
Etwa 240.000 Sudetendeutsche (über 7 % der Bevölkerung des Jahres 1939) haben die Gräuel in der Nachkriegszeit, die Vertreibung und die Hungerzeit nicht überlebt.*)
Von Mai bis Mitte Oktober 1945 haben in Böhmen 4.406 und in Mähren-Schlesien 1.762 Deutsche aus großer Verzweiflung Selbstmord begangen.
In dem Zeitraum von Mai 1945 bis zum Ende der „Potsdamer Konferenz“ am 2. August 1945 wurden etwa 450.000 Sudetendeutsche aus ihrer angestammten Heimat in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands, über 150.000 in die Republik Österreich und sehr viele Landsleute (auch aus dem Kreis Landskron im Schönhengstgau) in die Grafschaft Glatz (Preußisch-Schlesien) gewaltsam vertrieben. Diese „wilden Vertreibungen“ waren durch die Beschlüsse von Potsdam nicht gedeckt. Erst am 20. November 1945 erließ der Alliierte Kontrollrat in Berlin „Richtlinien für einen allgemeinen und organisierten Transfer der deutschen Bevölkerung aus den Vertreibungsgebieten nach Deutschland“.
In Übereinstimmung mit dieser Entscheidung erließ das tschechoslowakische Innenministerium am 14. Dezember 1945 die „Direktive zur Durchführung des systematischen Abschubs (Transfers) der Deutschen vom Territorium der Tschechoslowakischen Republik“.
Damit endete das über 700 Jahre währende Zusammenleben zwischen Tschechen und Deutschen im böhmisch-mährisch-schlesischen Raum und deren gemeinsame, nicht immer ungetrübte Geschichte.
*) Vergleiche "Jahrbücher der Sudetendeutschen 2005", Seiten 49 ff., 2013, Seiten 38 ff. und "Schönhengster Jahrbuch 2006", Seite 141, sowie die Dokumentation "Odsun", Seiten 133, 141, 225 und ff.
Mein Beitrag wurde veröffentlicht in „Schönhengster Heimat“, September 2003, Seite 7.
Vergleiche auch das Standardwerk zur Vertreibung von Prof. Alfred M. de Zayas:
"Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen"
Siehe auch die Konferenzen
· von Teheran (28. November bis 1. Dezember 1943) und
· von Jalta (4. Februar bis 11. Februar 1945 auf der damals sowjetischen, später
ukrainischen, ab 21. März 2014 wieder sowjetischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim).
Die tschechische und die polnische Exil-Regierung hatten erwartet, dass bereits in der Kapitulationsurkunde vom 7./9. Mai 1945 die Vertreibung der deutschen Bevölkerung festgeschrieben wird.
Quelle: www.uni-protokolle.de/
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Radio Prag berichtete in der deutschsprachigen Auslandssendung am 31. Juli 2005 folgendes:
Vertreibung oder Aussiedlung?
Dieser Tage erinnert man an den 60. Jahrestag der Potsdamer Konferenz. In den deutsch-tschechischen Beziehungen spielt diese eine große Rolle, da hier entschieden wurde über die Vertreibung, oder Aussiedlung, oder - ja, wie bezeichnet man eigentlich dieses geschichtliche Ereignis tschechisch?
Odsun - Abschub oder transfer - Transfer oder vysídlení - Aussiedlung - das sind die drei häufigsten Begriffe, die man in Tschechien hört, wenn von der Vertreibung bzw. Aussiedlung der Sudetendeutschen geredet wird. Am verbreitesten ist dabei der Begriff odsun - Abschub, der in den meisten Veröffentlichungen und Enzyklopädien anzutreffen ist und den Prozess der Vertreibung bzw. Aussiedlung als ganzes neutral beschreibt, ohne auf mögliches Unrecht hinzuweisen.
Die Deutsch-tschechische Historikerkommission unterscheidet je nach Zeitabschnitt zwei Begriffe.
Vom 8. Mai 1945 bis zum Ende der Postupimská konference - Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 wird der Begriff vyhnání - Vertreibung benutzt, danach der eher technische Begriff transfer - Transfer. Die erste Phase der Vertreibung wird im Tschechischen manchmal auch als divoký odsun - wörtlich wilder Abschub bezeichnet, im Deutschen dagegen als wilde Vertreibung. Für die zweite Phase dagegen benutzt man auch den Begriff organizovaný odsun - organisierter Abschub.
Als man die 1997 verabschiedete tschechisch-deutsche Deklaration formulierte, führte man lange sprachwissenschaftliche Diskussionen, bis man sich darauf einigte, wie man die Nachkriegsereignisse bezeichnen soll. Im tschechischen Text ist nun die Rede von pováleèný útìk - Nachkriegsflucht, von vyhánìní - Vertreibung und von nucené vysídlení - Zwangsaussiedlung. Der deutsche Text der Passage lautet: "Flucht, Vertreibung und zwangsweise Aussiedlung nach Kriegsende."
Diejenigen, die vertrieben wurden, sind die vyhnanci - Vertriebenen und so heißt auch der Bund der Vertriebenen tschechisch: svaz vyhnancù.
Ein Sudetendeutscher heißt auf Tschechisch übrigens sudetský Nìmec - Sudetendeutscher und die sudetendeutsche Landsmannschaft ist die sudetonìmecký landsmanšaft.
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60 Jahre Potsdamer Konferenz Radio Prag – 02.08.2005
Heute vor 60 Jahren endete das erste Gipfeltreffen nach dem Zweiten Weltkrieg, das unter dem Namen Potsdamer Konferenz in die Geschichte einging und der weiteren Entwicklung in Europa sowie der ganzen Welt Weichen stellte. Seit 60 Jahren scheiden sich immer noch die Geister bei der Interpretierung der Beschlüsse der Konferenz. Jitka Mladkova sprach darüber mit Dr. Jochen Laufer vom Zentrum für Zeithistorische Forschung mit Sitz in Potsdam:
Die Weichenstellung durch die Potsdamer Konferenz und ihre Beschlüsse wird seit 60 Jahren unterschiedlich interpretiert. Hat die Diskussion im Laufe der Jahrzehnte eine Entwicklung durchgemacht in Richtung einer Annäherung der einstigen Positionen von Ost und West?
"Ich glaube, dass dem so ist. Wenn man die Diskussion, die in den 60 Jahren über die Potsdamer Konferenz geführt wird, verfolgt, kann man sehen, dass es zunächst sehr weit auseinander ging bei den Interpretationen in der Sowjetunion und in all den Ländern, die zum sowjetischen Block gehörten, also auch in der ehemaligen DDR und der Tschechoslowakei, auf der einen Seite. Eine völlig entgegen gesetzte Interpretation gab es im Westen, darunter auch in Westdeutschland. Diskutiert wurde insbesondere darüber, ob es nur ein Protokoll, ein Konferenzkommunique oder aber ob es ein Abkommen war. In der DDR und im Osten überhaupt wurde immer erklärt, es sei ein festes Abkommen mit bindenden Beschlüssen gewesen, das in Potsdam unterzeichnet wurde."
Wie sind die Positionen jetzt - 60 Jahre später?
"Ich glaube, dass jetzt schon klar ist, dass man nicht umhin kommt zu sagen, dass es kein Abkommen im eigentlichen Sinne war. Es wird auch kein vernünftiger Historiker und wahrscheinlich auch kein vernünftiger Journalist bestreiten, dass es eben dieses Protokoll mit der Unterschrift der Regierungschefs gibt. Es ist klar, wenn man die einzelnen Beschlüsse wertet und ihnen ein Gewicht beimisst - es geht ja um strittige Fragen wie Grenzfragen und Bevölkerungstransfer - so gibt es nach wie vor unterschiedliche Auffassungen betreffs der Interpretation. Das wird sicherlich noch eine Weile weiter gehen."
Die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz betrafen u. a. auch eine neue Grenzziehung östlich der Elbe und die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus den ehemals deutschbewohnten Gebieten, darunter auch die Aussiedlung der so genannten sudetendeutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei. Der "Hauptverdienst" um das letztere wird bekanntlich dem tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes zugeschrieben. Welche Rolle spielte dieser Politiker Ihrer Meinung nach?
"Das muss man von verschiedenen Seiten aus betrachten. Er war ja nicht auf der Konferenz vertreten und hatte von daher nur eine sehr kleine Randrolle. Die tschechoslowakische Seite hat im Vorfeld der Konferenz verschiedene Initiativen ergriffen, damit die Aussiedlungsfrage in Potsdam verhandelt wird. Sie selbst war aber nicht vertreten und spielte insofern eine marginale Rolle auf dieser Konferenz. Aber für den Prozess der zwangsweisen Aussiedlung der deutschen Bevölkerung spielte Benes eine wichtige Rolle, aber nicht die einzige und auch nicht die Hauptrolle im internationalen Geschehen, das mit der Aussiedlung zusammenhängt. Beteiligt waren auch andere Akteure. Es begann auch nicht erst mit dem Zweiten Weltkrieg. Die Frage des Bevölkerungstransfers stellte man sich bereits nach dem Ersten Weltkrieg. Man glaubte, durch den Transfer von Minderheiten eine stabilere politische Situation in den jeweiligen Staaten schaffen zu können. Es gab schon so einen Konsens in der europäischen Politik vor dem Zweiten Weltkrieg und daran knüpften eben Benes und die tschechoslowakische Exilregierung im Zweiten Weltkrieg an."
Soweit Dr. Jochen Laufer vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
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Kapitel aus der Tschechischen Geschichte Artikel 84932 04.11.2006
Kolonialisierung und Missionierung? Die Kirchen zwischen Vertreibung und Wiederbesiedlung
Immer wieder wird über die Vertreibung und Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg diskutiert. Über die weitere Entwicklung in den ehemaligen Sudetengebieten ist hingegen weniger bekannt. Seit einigen Jahren wird nun aber verstärkt der Frage nachgegangen, was eigentlich in diesen Gebieten passierte, nachdem die Deutschen weg waren? Andreas Wiedemann beschäftigt sich in unserem heutigen Geschichtskapitel mit einem speziellen Aspekt der tschechischen Nachkriegsgeschichte: Mit der Rolle der Kirchen im Zusammenhang von Vertreibung und Wiederbesiedlung.
Zeitgleich mit der Vertreibung und Aussiedlung der Sudetendeutschen verlief die Neubesiedlung der ehemaligen Sudetengebiete bzw. der Grenzgebiete der böhmischen Länder. Die Deutschen, die in den Grenzgebieten insgesamt die Bevölkerungsmehrheit stellten, sollten durch Tschechen und Slowaken ersetzt werden. Mindestens 1,7 Millionen Neusiedler folgten den Aufrufen von Regierung und Parteien und gingen in die Grenzgebiete. Die meisten von ihnen kamen aus dem tschechischen Binnenland. Etwa zwei Jahre nach Kriegsende bildeten diese Neusiedler die Bevölkerungsmehrheit in den Grenzgebieten. Durch die Vertreibung und Besiedlung wurden nicht nur große Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur, sondern auch in der Wirtschaftsstruktur und im kulturellen und konfessionellen Bereich in Gang gesetzt. Welche Rolle spielten die Kirchen bei der Vertreibung und Besiedlung in den Grenzgebieten? Wie sahen sie die Lage in der unmittelbaren Nachkriegszeit? Der Historiker Martin Zückert, Geschäftsführer des Collegium Carolinum in München, erläutert:
"Viele Kirchenvertreter bezeichneten nach 1945 die Situation in den Grenzgebieten Böhmens und Mährens als eine Situation wie in einem Missionsland. Das lag vor allem daran, dass vielfach Strukturen, vor allem der katholischen Kirche, zusammengebrochen waren und es an Priestern mangelte, da viele Priester deutscher Nationalität, ebenso wie die deutsche Bevölkerung insgesamt vertrieben wurde."
Die wilden Vertreibungen im Frühjahr und Sommer 1945 erfassten die deutschen Priester und Ordensleute in gleicher Weise wie den Rest der deutschen Bevölkerung. Ausnahmen wurden nur gemacht, wenn deutsche Geistliche als Antifaschist anerkannt wurden Die Folgen für die Kirche waren vielerorts katastrophal: Viele Gemeinden blieben in der Folge ganz ohne Priester, zahlreiche Pfarrhäuser standen leer. Welche Positionen vertrat die Kirche gegenüber der Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen?
"Man kann im Großen und Ganzen sagen, dass es einen Konsens gab. Innerhalb dieses Konsenses wurde die Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen nicht in Frage gestellt. Es gab allerdings Positionen, insbesondere innerhalb der katholischen Kirche, die versuchten Willkürmaßnahmen und Ausschreitungen zu verhindern", so Zückert.
Gab es eventuell unterschiedliche Positionen zwischen den tschechischen Kirchen? Dazu sagt Zückert:
"In der evangelischen Kirche der böhmischen Brüder wie auch in der tschechoslowakischen Kirche gab es auch diesen Konsens, also die Überzeugung, dass es richtig ist, die Deutschen auszusiedeln. Zusammengefasst kann man sagen: Alle drei hier genannten großen Konfessionen, die katholische Kirche, die evangelischen Kirche der böhmischen Brüder wie auch die tschechoslowakischen Kirche bejahten bzw. akzeptierten die Vertreibung der Deutschen, bemühten sich aber darum, dass es zu keinen Willkürmaßnahmen kommt."
Die Situation in der katholischen Kirche war allerdings etwas anders als bei den evangelischen Konfessionen. Die römisch-katholische
Kirche war gewissermaßen übernational organisiert, ihr gehörten sowohl deutsche als auch tschechische Priester an. Die Tschechoslowakische Kirche, die heute den Namen Tschechoslowakische Hussitische Kirche trägt, wurde von tschechischen Katholiken im Jahr 1920 gegründet und war eine national-tschechisch organisierte Kirche. Die Deutsche Evangelische Kirche in Böhmen, Mähren und Schlesien war ebenfalls eine national strukturierte Kirche. In ihr übten nur deutsche Geistliche das Pfarramt aus. Sie war nach der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik entstanden, als sich die bis dahin einheitliche evangelische Kirche Altösterreichs in eine deutsche und eine tschechische evangelische Kirche trennte. Die tschechische Kirche trug seit 1918 den Namen Evangelische Kirche der böhmischen Brüder. Für die deutsche evangelische Kirche bedeutete die Aussiedlung der deutschen Pfarrer das Ende ihrer Existenz,
da keine tschechischen Priester auf die Posten der ausgesiedelten Deutschen nachrücken konnten. Die Kirche wurde aufgelöst und ihr Vermögen fiel an den Staat.
Die Mehrheit der Tschechen, die aus dem Binnenland in die Grenzgebiete kamen, waren religiös nur wenig gebunden, so dass die Kirchenarbeit in den Grenzgebieten auch ein wenig den Charakter einer Missionierung hatte. Martin Zückert erläutert die doppelte Bedeutung, die der Missionsbegriff für die Grenzgebiete hatte:
"Dieser Begriff des Missionslandes zielte also auf zwei Aspekte: Zum einen auf den Zusammenbruch der Strukturen bzw. den teilweisen Zusammenbruch der Strukturen. Zum anderen auf das religiöse Leben in den Grenzregionen. Denn man war sich nicht sicher, inwieweit neue kirchliche Strukturen entstehen würden durch den Zuzug der Neusiedler", erläutert Zückert.
Der strukturelle Wiederaufbau bedeutete konkret die Besetzung von Pfarrstellen mit Priestern als Ersatz für die ausgesiedelten Deutschen. Ferner sollten leerstehende Pfarrhäuser geschützt und deren Plünderungen verhindert werden. Der Tschechoslowakische Staat betrachtete es als eine seiner wichtigsten Aufgaben, die Neuankömmlinge in den Grenzgebieten zu integrieren und die neu entstandenen Strukturen zu stabilisieren. Auch die Kirche bemühte sich darum, den Neusiedlern Orientierung und Halt zu geben.
"Ziel war es, den Neusiedlern neue Deutungsangebote bieten zu können. Wie soll man diesen Prozess verstehen, wie soll man ihn in einen religiösen Kontext einordnen. Dazu gab es z.B. 1947 eine Wallfahrt, bei der die Gebeine des heiligen Voytech, des heiligen Adalbert, durch die gesamte Tschechoslowakei getragen wurden und unter anderem auch Stationen im Grenzland eingebaut wurden. Dort sollte die nationale aber eben auch die christliche Mission des heiligen Voytech für die Grenzgebiete betont werden. Man muss einschränkend aber sagen, dass die Kirchen damals sicherlich nicht die Deutungshoheit in der Tschechoslowakei hatten, sondern hier mit den allgemeinen Deutungsangeboten: Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. Tschechisierung, Nationalisierung in Konkurrenz stand", so Zückert.
Die neue Gesellschaft in den Grenzgebieten setzte sich nach dem Abschluss von Aus- und Ansiedlung aus Menschen verschiedener Herkunftsgebiete zusammen. Rund 200.000 Tschechen und Slowaken, deren Vorfahren ausgewandert waren, kamen nach dem Zweiten Weltkrieg in die Tschechoslowakei. Ein großer Teil dieser genannten Reemigranten siedelte sich in den Grenzgebieten an. Sie gehörten unterschiedlichen Konfessionen an. Einige der slowakischen Reemigranten aus Rumänien waren evangelisch, Zuwanderer aus der Slowakei gehörten der römisch-katholischen oder der griechisch-katholischen Kirche an und die Tschechen aus Wolhynien waren orthodox. Wie lassen sich die Veränderungen in den Grenzgebieten durch Vertreibung und Wiederbesiedlung zusammenfassen?
"Einerseits gab es große Veränderungen in den kirchlichen Strukturen, zum Teil auch einen allgemeinen Rückgang z.B. durch den Mangel an Priestern in der katholischen Kirche. Andererseits kann man kurz und knapp sagen, dass durch den Zuzug unterschiedlicher Siedler, die zum Teil orthodox waren, griechisch-katholisch oder einer der kleineren evangelischen Konfessionen angehörten, eine neue konfessionelle Vielfalt entstanden ist."
Für die verschiedenen Kirchen entstand somit auch eine gewisse Konkurrenzsituation beim Aufbau ihrer Organisation in den Grenzgebieten. Eine Frage bleibt der Forschung in Zukunft aber noch erhalten, wie Zückert erläutert:
"Die zukünftige Forschung müsste auch danach fragen, inwieweit religiöse Zugehörigkeit und religiöse Deutungsangebote für die Neusiedler identitätsstiftend waren, trotz aller Deutungshoheit des nach 1948 kommunistisch dominierten Staates", so Zückert.
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Meine Beiträge
„Die verhängnisvollen (so genanten) ‘Beneš-Dekrete’“
wurden in der „Schönhengster Heimat“, Juni 1996, Seite 6, und September 1999, Seite 6, veröffentlicht.
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Vertreibung aus der Heimat - 65 Jahre zurückgeblättert
Nach dem Protokoll vom 2. August 1945 der so genannten Potsdamer Konferenz wurde im Artikel XIII folgendes beschlossen:
„ .... daß die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und in Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland ....... in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll.“
Wie sich die „Überführung“ wirklich vollzog, schilderte der spätere Bundeskanzler Willy Brandt als Korrespondent der „Norwegischen Arbeiterpresse“ in einem Artikel vom Dezember 1945:
„Die Zwangsevakuierungen der Sudetendeutschen begannen sofort nach dem Ende des Krieges. Seitdem sind sie ununterbrochen fortgesetzt worden. Die Bestimmung des Potsdamer Übereinkommens, daß die Zwangsevakuierungen in humaner Form durchgeführt werden sollen, spielte dabei keine nennenswerte Rolle.
Die gewöhnliche Methode ist, daß die Sudetendeutschen einige Stunden vor ihrem Abtransport benachrichtigt werden – in vielen Fällen hören sie aber auch gerade erst zehn Minuten vorher, daß ihre Ausweisung durchgeführt wird. Gewöhnlich dürfen sie 25 Kilogramm Gepäck mit sich nehmen, einige sogar 30 Kilogramm, andere nur 15 Kilogramm. Gewöhnlich ist es ihnen gestattet, 200 Mark mit sich zu nehmen – aber anderen sind sogar 50, 100 oder 150 Mark weggenommen worden. Wenn der Befehl zum Antreten auf den Sammelstellen kommt, dann müssen sie ihre Wohnungsschlüssel, versehen mit einem Zettel, auf dem ihre Adresse steht, mitbringen, desgleichen Schmuck und Wertgegenstände – und alles abliefern. Auf den meisten Sammelstellen, aber nicht auf allen, dürfen die Deportierten ihre Eheringe als einziges behalten.
Den Menschen seien oft sogar ihr zweites Hemd, ihr Mantel oder ihre Schuhe weggenommen worden.“
Soweit der Journalist Willy Brandt im Dezember 1945.
14 Millionen Deutsche verloren nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat.
Hunderttausende, wahrscheinlich mehr als 2 Millionen, fanden während der Flucht und Vertreibung durch Mord, Misshandlungen, Hunger, Entkräftung und Seuchen sowie in der Folgezeit durch Unterernährung den Tod.
Sehr hoch war die Sterblichkeitsziffer bei Neugeborenen, Kleinkindern und älteren Leuten. Unsägliches Leid traf die Angehörigen in ihrer großen seelischen und materiellen Not.
Die Aufnahme von mehr als 12 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen, hauptsächlich in den Jahren 1945 und 1946, war für beide deutschen Staaten eine große soziale und wirtschaftliche Herausforderung. Viele Schlesier, Pommern, Ostpreußen, Sudetendeutsche, Ungarndeutsche und Vertriebene aus Südosteuropa, machten nach dem Verlust ihrer Heimat die bittere Erfahrung, dass sie in Deutschland nicht willkommen waren. Sie mussten oft lange in ärmlichen Notunterkünften wohnen. Nach Jahren verschafften sie sich Respekt - vor allem durch ihren Aufbauwillen und ihre Leistungsbereitschaft. Ohne die Vertriebenen wäre der wirtschaftliche Aufschwung in West und Ost deutlich schwächer ausgefallen.
Die Eingliederung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg war eine große Leistung des deutschen Volkes und hätte den Friedensnobelpreis verdient.
Vergleiche auch