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Die Stadt Ústí nad Labem / Aussig ehrt die Opfer des Massakers an der deutschen Bevölkerung
Die nordböhmische Stadt Ústí nad Labem / Aussig unter dem Oberbürgermeister Petr Gandalovic wird in diesem Jahr erstmals die Opfer des Massenmordes an deutschen Einwohnern vom Sommer 1945 ehren. Zum 60. Jahrestag will die Stadt im Beisein von Außenminister Cyril Svoboda eine zweisprachige tschechisch-deutsche Gedenktafel an der Elbebrücke (sie heißt seit 1990 Dr.-Edvard-Beneš-Brücke) enthüllen, an der das Massaker begonnen hat. Die Zahl der Opfer soll auf der Tafel nicht angegeben werden, da die unterschiedlichen Schätzungen (zwischen 220 und 2.700) zu weit auseinander liegen.
Was war am Dienstag, dem 31. Juli 1945, um oder kurz nach 15.30 Uhr geschehen?
Das Sammellager für deutsche Artilleriemunition, andere Munition, Panzerfäuste, Treibstoff und neue Flugzeugmotoren in Schönpriesen bei Aussig an der Elbe war explodiert. Durch die Druckwelle waren noch im Stadtzentrum von Aussig Fensterscheiben geborsten. Durch die gewaltigen Explosionen wurden auf dem Lagergelände fünf tschechische Soldaten und 26 deutsche Arbeiter/innen getötet. Mehr als 250 Personen wurden verletzt, zwei oder drei Tschechen/innen starben. Etwa 1.000 Bewohner von Schönpriesen verloren ihr Heim und ihre Habe.
Die Explosion wurde als deutsche Sabotage-Aktion des „Werwolfs“ ausgelegt. Heute steht fest, dass es sich dabei um eine geplante, von tschechischer Seite inszenierte Aktion durch Angehörige der Svoboda-Armee und der Revolutionsgarden (Stabskapitän Bedrich Pokorný und andere) gehandelt hat.
Unzählige deutsche Männer sowie eine deutsche Frau mit ihrem Säugling im Kinderwagen wurden daraufhin in der etwa zwei Kilometer elbaufwärts gelegenen Stadt Aussig bestialisch ermordet. Sie wurden von der neuen Elbebrücke in den Fluss geworfen, und es wurde gezielt auf sie geschossen. Weitere Deutsche, auch ein Kleinkind, wurden auf dem Ringplatz in einem Löschwasserbecken ertränkt, in der Gerber- und Burggasse sowie vor dem Hauptbahnhof mit Zaunlatten, Brechstangen und Schaufelstielen erschlagen. Am Abend wurden die Toten an drei Stellen zusammengetragen, ausgeraubt und auf Lastautos weggeschafft.
Der damalige Vorsitzende des Orts-Nationalausschusses Josef Vondra hatte vergeblich versucht, dem Wüten des Mobs auf dem Ringplatz Einhalt zu gebieten.
Ein Zeitzeuge aus Bautzen berichtete folgendes:
„Im schönsten Teil des Landschaftsschutzgebietes der Sächsischen Schweiz, am Kirchweg im Sellnitzgrund südlich der Gemeinde Waltersdorf, nahe beim Lilienstein, liegt der Waldfriedhof, auf dem seit 1945 die Leichen begraben liegen, die am 10. August 1945 bei Krippen aus der Elbe gezogen wurden.“
"Sudetendeutsche Zeitung" vom 10. Oktober 1997, Seite 6.
Vergleiche auch die „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“, herausgegeben vom ehemaligen Bundesministerium für Vertriebene, Band IV/1, Seiten 71/72, und Band IV/2, Seiten 282 bis 286; „Dokumentation des Bundesarchivs“, Seite 61; „Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen“, Seite 121; Alfred Bohmann „Die Ausweisung der Sudetendeutschen usw.“, Seite 67; Heinrich Giegold „Tschechen und Deutsche – Die Geschichte einer Nachbarschaft“, Seiten 75/76; Heinz Nawratil „Schwarzbuch der Vertreibung 1945 bis 1948“, Seiten 60/61, 85 und 220; Otfrid Pustejovsky „Die Konferenz von Potsdam und das Massaker von Aussig am 31. Juli 1945“; Sudetendeutsches Archiv München „Jahrbuch für sudetendeutsche Museen und Archive 2002“; Prof. Dr. Peter Glotz „Die Vertreibung - Böhmen als Lehrstück“, Seiten 222 bis 224 und 274; sowie die Zeitschrift „Der Spiegel“ 14/2002 (Serie über Flucht und Vertreibung) und meinen Beitrag „Die Potsdamer Konferenz“ in der „Schönhengster Heimat“, September 2003, Seite 7.
Die Landeshauptstadt München hat 1952 die Patenschaft über die Heimatvertriebenen aus der Stadt Aussig übernommen.
Als Geste der Verständigung beabsichtigt die Stadt Ústí nad Labem / Aussig den Aufbau eines Museums für tschechisch-deutsche Beziehungen mit dem Namen „Collegium Bohemicum“. Die Kosten für den Umbau des Stadtmuseums, in dem die neue Institution untergebracht werden soll, werden etwa 200 Millionen Kronen (knapp 6,7 Millionen Euro) betragen.
Veröffentlicht in "Schönhengster Heimat", Juli 2005, Seite 8.
Weitere Fundstellen:
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Am Sonntag Nachmittag, dem 31.07.2005, wurde im nordböhmischen Ústí nad Labem /Aussig eine Gedenktafel angebracht, mit der an das Nachkriegsmassaker gegenüber den Sudetendeutschen vom 31. Juli 1945 erinnert wird. Die Tafel sei an der dortigen Edvard-Benes-Brücke befestigt worden, meldete die tschechische Nachrichtenagentur CTK.
Auf der Bronzetafel steht auf Tschechisch und Deutsch der Satz:
„Zum Gedenken an die Opfer der Gewalt vom 31. Juli 1945.“
An dem Festakt nahmen rund 300 Leute teil, unter anderem auch Politiker, Historiker von beiden Seiten sowie Vertreter von deutsch-tschechischen Organisationen. Die Stadt schließe damit ein Kapitel der neuzeitlichen Geschichte, sagte der Bürgermeister von Ústí nad Labem, Petr Gandalovic. Genau vor 60 Jahren haben Mitglieder paramilitärischer Einheiten an der dortigen Elbbrücke zahlreiche deutsche Zivilisten getötet. Nach Schätzungen der Historiker starben rund 50 Personen, weitere ertranken im Fluss, ihre Körper wurden im Flussstrom nach Sachsen getrieben.
Ein Bild von der Gedenktafel ist im „Prachatitzer Heimatbrief“, November 2012, Seite 25, veröffentlicht.
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Artikel von Silja Schultheis, Radio Prag:
60 Jahre nach Kriegsende hat die nordböhmische Stadt Ústí nad Labem/Aussig am Sonntag, dem 31. Juli 2005, erstmals offiziell das Massaker an deutschen Bewohnern der Stadt bedauert, zu dem es am 31. Juli 1945, gekommen war.
Der Krieg war längst vorbei, als am 31. Juli 1945 in Ústí nad Labem/Aussig ein Massaker an deutschenBewohnern begann, dem mindestens 50 Menschen zum Opfer fielen. Viele Opfer wurden von der Edvard-Benes-Brücke in die Elbe geworfen, ihre Leichen später auf deutscher Seite geborgen. Die Täter wurden nie bestraft. Eben auf jener Edvard-Benes-Brücke enthüllte in Anwesenheit internationaler Politiker und Vertreter tschechisch-deutscher Organisationen der Aussiger Oberbürgermeister Petr Gandalovic eine Gedenktafel. Nicht die Ursache und Wirkung von Krieg und Nachkriegsereignissen solle dadurch relativiert, sondern die unnötigen Opfer gewürdigt werden.
Vor zehn Jahren wäre ein solcher Schritt, der von sudetendeutschen Verbänden in Deutschland und Österreich begrüßt wurde, bei der tschechischen Opposition jedoch auf Kritik stieß, nicht möglich gewesen, erinnert sich der Aussiger Historiker Dr. Vladimir Kaiser. Damals hätten extremistische Gruppierungen gedroht, einen Pietätsakt für sudetendeutsche Opfer zu stören. Die Mehrheit der Aussiger Bevölkerung hingegen war auch damals längst schon reif für einen solchen Schritt gewesen. Mit der vom tschechischen Kabinett geplanten humanitären Geste gegenüber sudetendeutschen Antifaschisten stehe er allerdings in keinerlei Zusammenhang, so Kaiser:
"Die Bürger von Ústí brauchen keine Versöhnung. Wir hatten schon früher, auch schon vor der Wende unter den Deutschen, auch den Sudetendeutschen sehr gute Freunde und Mitarbeiter und daher brauchen wir nicht diese Versöhnungsakte."
Dass Versöhnung in Ústí auch auf politischer Ebene alles andere als ein Fremdwort mehr ist, habe auch die Abstimmung des Stadtrates über die Errichtung der Gedenktafel gezeigt:
"Da waren zehn Stimmen dafür, keine dagegen."
Insbesondere die jüngere Generation hat nach Meinung des Historikers Vladimir Kaiser heute einen unbelasteten und durchaus pragmatischen Zugang zu den damaligen Ereignissen, der jenseits von symbolischen Gesten liegt: Entscheidend sei es, historische Ereignisse zu erforschen und publik zu machen. Dieses Ziel soll auch ein "Museum der Deutschen in Böhmen" verfolgen, das in Ústí errichtet werden soll.
Vor allem aber sollten Ereignisse wie das Massaker in Aussig am 31. Juli 1945 ein ausdrücklicher Appell an die Zivilcourage jedes Einzelnen sein, betont der Historiker Vladimir Kaiser aus dem Stadtarchiv Ústí nad Labem:
"Wenn es zu einer ähnlichen Politik, zu ähnlichen Ideologien kommt, die zu dieser Gewalt führten - und das ist z.B. Nationalsozialismus oder extremer Kommunismus oder andere Regime - dann müssen wir laut schreien dagegen."
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Ústí nad Labem / Aussig plant ein Museum der Deutschen „Collegium Bohemicum“
Die nordböhmische Stadt Ústí nad Labem / Aussig plant die Einrichtung eines Museums, einer Bibliothek und einer Forschungsstätte für die Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern und der deutsch-tschechischen Beziehungen. Es soll in einem der wenigen Gebäude der Stadt untergebracht werden, die sowohl die Bombardierung am 17. und 19. April 1945 durch die Alliierten als auch die kommunistische Stadtplanung in den 80er Jahren überlebt haben, sagte Oberbürgermeister Petr Gandalovic am 4. Oktober 2005 in Prag. Die Kosten schätze er auf 5,3 Millionen Euro, wobei er auf Zuschüsse aus dem EU-Strukturfonds hoffe. Mit diesem und anderen Projekten versuche die nordböhmische Stadt, "ihr Gedächtnis zu erneuern", so der Kommunalpolitiker. Das konfliktreiche Zusammenleben von Deutschen und Tschechen im 20. Jahrhundert gilt bei vielen der heutigen Bewohner des böhmischen Grenzgebiets als Tabu-Thema. Am 31. Juli d.J. hatte Oberbürgermeister Petr Gandalovic in Ústí nad Labem / Aussig eine Gedenktafel für die Opfer eines Nachkriegsmassakers an Deutschen im Jahr 1945 enthüllt. Das geplante Museum knüpfe an dieses Gedenken an, sagte der Oberbürgermeister.
Auch die Robert-Bosch-Stiftung organisiert und veranstaltet in Ústí nad Labem / Aussig Kulturveranstaltungen mit deutschen Inhalten.
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Ing. Gustav-Angelo Erhart (* 29.12.1882) war Angestellter der Firma Schicht in Aussig. Er wurde eines der Opfer des Massakers von Aussig am 31. Juli 1945.
Dem in Österreich lebenden Sohn Walter Erhart gelang es, im Jahr 1999 herauszufinden, dass der Leichnam seines Vaters am 7. August 1945 in Königstein / Sachsen am Ufer der Elbe angeschwemmt und auf dem dortigen Friedhof beerdigt wurde.
Die Städtische Friedhofsverwaltung Königstein / Sachsen hat die sterblichen Überreste von Ing. Gustav-Angelo Erhart bereits im Jahr 1970 aus dem verlassenen Einzelgrab in ein Gemeinschaftsgrab umgebettet.
Im Jahr 2001 ließ der Sohn auf dem Friedhof in Königstein / Sachsen den unten abgebildeten symbolischen Grabstein für seinen am 31. Juli 1945 in Ústí nad Labem / Aussig umgekommenen Vater errichten.
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Massengräber bei Dobronín / Dobrenz, nördlich von Jihlava / Iglau, und bei Moravský Krumlov / Mährisch Kromau in Südmähren entdeckt
Der Ortsbewohner Milan Litavský hatte an der Stelle, an der das Massengrab gefunden wurde, ein Kreuz aufgestellt (Radio Prag vom 13. März 2011).
Das drei Meter hohe Holzkreuz wurde von Unbekannten beschädigt (Liberale tschechische Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“vom 12. März 2011) und inzwischen umgesägt („Nürnberger Nachrichten“ vom 18. März 2011, Seite 6).
Ein weiteres Massengrab mit ermordeten Deutschen soll es ebenfalls bei dieser Ortschaft nahe des Eisenbahnviadukts geben. Radio Prag bezieht sich auf den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Zeitzeugen Johann Niebler.
Polizisten und Wissenschaftler von der Brünner Masaryk-Universität haben nun am 24. März 2011 zwei weitere Lokalitäten nahe der Gemeinde Dobronín / Dobrenz nach sterblichen Überresten von Deutschen abgesucht. Sie sollen nach dem Zweiten Weltkrieg dort ermordet worden sein.
Für die Suche wurde ein so genanntes Georadar verwendet. Wie der leitende Ermittler Michal Laška gegenüber der Presseagentur ČTK sagte, habe das Radar Anomalien in der Bodenbeschaffenheit verzeichnet. Dies könnte darauf hindeuten, dass an zwei Stellen in der Nähe des Viaduktes weitere Leichen vergraben wurden (Radio Prag vom 24. März 2011).
Nach neueren Ermittlungen wurde auch in Moravský Krumlov / Mährisch Kromau (südwestlich von Brno / Brünn) ein Massengrab entdeckt. Das Massaker an elf deutschen Zivilisten soll im Juni 1945 im Park des Schlosses verübt worden sein.
Bei einem Bombenangriff am 7. Mai 1945 auf diese Kleinstadt Moravský Krumlov / Mährisch Kromau (etwa 2.600 mehrheitlich tschechische Einwohner) gab es zahlreiche Opfer.
Der Kommentator Luděk Navara schrieb in der liberalen tschechischen Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“ folgendes:
"...... Es wäre gut, wenn wir wüssten, wie viele Massengräber sich noch in Tschechien befinden. Das wäre wichtig für uns alle. Wir müssen die Geschichte kennen lernen, sie begreifen, uns mit ihr aussöhnen und mit ihr leben lernen. Auch das ist eine Art Gerechtigkeit. Und die schulden wir den Toten."
Jiří Leschtina von der Prager Wirtschaftszeitung „Hospodářské noviny“ schrieb:
".... Die Aussage von Staatspräsident Edvard Beneš (im Jahr 1945), es sei notwendig, die Sudetendeutschen zu beseitigen (zu liquidieren), war die amtliche Weihe für Pogrome. ….. und dass 2010 und 2011 Archäologen die Körper von Opfern ethnischer Morde ausheben (müssen), die von unseren Leuten begangen wurden. ….. Ist es nicht eine Provokation gegenüber der modernen Welt des 21. Jahrhunderts, dass wir nach 65 Jahren im Herzen Europas Massengräber mit Deutschen aufdecken? ...."
Über das Massaker vom 7. Juni 1945 am Elementenwald bei Podersam / Podbořany im Saazer Land in Nordböhmen und über die Bemühungen, die beiden Massengräber mit mindestens 68 ermordeten Deutschen zu finden, berichtete die "Süddeutsche Zeitung" am 19. Januar 2011 auf Seite 8 sehr ausführlich, ebenso Radio Prag und die Sudetendeutsche Zeitung" am 28. Januar 2011 auf Seite 1.
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Beisetzung von Dobronín/Dobrenz-Opfern in Jihlava / Iglau
Die Überreste von zwölf ermordeten Deutschen von Dobronín/Dobrenz wurden am 15. September 2012 auf dem Zentralfriedhof in Jihlava / Iglau bestattet.
Die Bestattung der Opfer wurde von Pfarrer Dieter Lang aus Neuburg an der Donau gemeinsam mit dem tschechischen Ortspfarrer vorgenommen.
200 Gläubige, darunter 60 Angehörige der 1945 ermordeten Deutschen, waren zur Bestattung nach Jihlava / Iglau gekommen.
Die tschechische Bevölkerung von Dobronín/Dobrenz hatte sich gegen die Bestattung in ihrem Ort gewehrt.
Aus „Mährischer Grenzbote“:
Die Totenmesse (das Requiem) fand am Samstag, den 15. September 2012, in der Jakobskirche in Jihlava / Iglau, statt. Zelebriert wurde das Requiem vom Heimatpriester der Iglauer, Pfarrer Dieter Lang und dem Pfarrer der Jakobskirche, Petr I. Božik.
Anschließend wurden die sterblichen Überreste von 12 der ermordeten Deutschen auf dem Zentralfriedhof in Jihlava / Iglau bestattet.
Der Text auf der zweisprachigen Gedenktafel am dortigen Massengrab mit insgesamt 1.273 Opfern lautet:
„Hier ruhen deutsche Bürger des Igellandes,
die in den Jahren 1945 - 1947 den Tod fanden.
Unser Gebet gilt allen unschuldigen Opfern
des Terrors und der Verfolgung.
Die Toten mahnen uns zur Versöhnung.“
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In der für Dobronín/Dobrenz zuständigen Kirche zu Seelenz ließen Angehörige der Ermordeten im Jahr 2000 eine Erinnerungstafel anbringen.
Diese Tafel hat in deutscher und tschechischer Sprache folgende Inschrift:
„Zur Erinnerung an unsere Väter, die in den Maitagen 1945 bei Dobrenz ihren Tod fanden.“
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Massenmord an rund siebzig Sudetendeutschen
Der öffentlich-rechtliche tschechische Rundfunk CRo1 hat unlängst eine umfangreiche Sendung über den Massenmord an rund siebzig Sudetendeutschen am 7. Juni 1945 in Groß Otschehau im Kreis Podersam ausgestrahlt. Dem leitenden Redakteur Jiří Hošek zufolge hat sich der Sender mit dem Thema auch im Hinblick auf eine strafrechtliche Verfolgung der Ereignisse beschäftigt. Denn der Straftatbestand Völkermord verjährt auch in der Tschechischen Republik nicht.
Nach Auffassung des leitenden CRo1-Redakteurs Jiří Hošek sollten seine Landsleute mutig und selbstbewußt genug sein, um zu sagen, „daß wir die Nachkriegsexzesse nicht wegen der deutschen Politiker, nicht wegen diplomatischer Vorteile aufklären wollen, sondern wegen uns selbst. Nicht nur, damit wir keine weißen Flecken mehr in unserer jüngsten Geschichte haben, sondern auch, damit wir uns mit den Verbrechen im rechtlichen Sinne auseinandersetzen. Eben dies waren die Beweggründe für uns im Radiojournal, dieses Thema aufzugreifen. Denn würde das Podersamer Massaker die Tatbestandsmerkmale eines Völkermordes aufweisen, was nicht auszuschließen ist, sollten sich damit die tschechischen Behörden beschäftigen. Denn Genozid verjährt nicht“, schrieb der Journalist in der renommierten Prager Tageszeitung „Hospodářské noviny“.
Die Gräber der Vergangenheit
Der tschechische Filmproduzent David Vondracek veröffentlichte Bilder von der Exhumierung der Toten im August 2010 in Dobronín / Dobrenz.
Zuvor hatte er Bilder von den Nachkriegs-Exekutierungen an Deutschen in Prag gezeigt.
“Sag mir, wo die Toten sind”, heißt sein nächstes Projekt, die Suche nach den verschwiegenen Massengräbern und der verdrängten Wahrheit.
Von Danko Handrick, ARD-Studio Prag
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Wanderausstellung über Verbrechen an Deutschen während der Vertreibung 1945
Artikel 88534 Radio Prag vom 20.02.2007
Seit Mai 2006 zieht eine Wanderausstellung durch einige nordböhmische Städte. Diese informiert den Besucher über Gewalttaten und Exzesse, die im Zuge der so genannten wilden Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg begangen wurden.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht der Zeitraum zwischen Mai und September 1945, als Hunderttausende Deutsche aus den böhmischen Ländern vertrieben wurden. Im Zuge dieser so genannten wilden Vertreibung kam es zu zahlreichen Gewalttaten und Exzessen. Gerade darüber soll der Besucher informiert werden, erläutert Eduard Vacek, Präsident des Verbandes unabhängiger Schriftsteller, der die Ausstellung initiiert hat:
"Es geht vor allem um Dokumente, um zeitgenössische Fotos und persönliche Aussagen von denen, die während der Vertreibung der Sudetendeutschen von den Exzessen betroffen waren und das entweder als direkte Opfer oder als Kinder oder Familienangehörige. Die Ausstellung will alle Ereignisse erfassen, die sich in Nordböhmen abgespielt haben. Dieses Gebiet gehörte nach dem Krieg nicht zur amerikanischen sondern zur sowjetischen Zone. Der Raum der uns interessiert, reicht ungefähr von Chomutov /Komotau bis nach Liberec /Reichenberg".
Zum Beispiel wird die so genannte "Säuberungsaktion" in Postoloprty / Postelberg bei Zatec / Saaz dokumentiert. Die Tschechoslowakische Armee und Einheiten des Nachrichtendienstes sowie der militärischen Abwehr sollten Ende Mai 1945 die Stadt von den Deutschen "säubern". In der Folge wurden zwischen 700 und 800 deutsche Männer erschossen. 763 Tote wurden 1947 in einem Massengrab bei Postoloprty entdeckt. Solche und weitere Verbrechen gehen nach Ansicht der Ausstellungsmacher vor allen Dingen auf das Konto ganz bestimmter Gruppen, wie Eduard Vacek erklärt:
"Wir wollen gerade zeigen, welchen Anteil die Kommunisten und das Militär an der Aussiedlung der Deutschen beziehungsweise an konkreten Exzessen hatten."
Die Ausstellung trägt denn auch den Titel "Opfer der kommunistischen Macht im nordböhmischen Grenzgebiet in den Jahren 1945-1946".
Die Kommunisten hatten nach dem Krieg Schlüsselpositionen in der Tschechoslowakischen Volksarmee und im Innenministerium inne und tragen deswegen die Hauptverantwortung für die tragischen Ereignisse bei der Vertreibung der Deutschen, meint Eduard Vacek. Die Fokussierung auf den kommunistischen Anteil ist allerdings so scharf geraten, dass wichtige historische Zusammenhänge in der Ausstellung fehlen.
Auf der ersten Texttafel wird die Gründung der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei im Jahr 1921 als "die Wurzel des Bösen" bezeichnet. Hinweise auf die sechsjährige Besatzung durch die Deutschen und auch auf die Rolle der tschechoslowakischen Exilregierung in England bei der Vorbereitung der Vertreibung fehlen hingegen.
Paul Neustupny, ein Tscheche, der 1968 nach Berlin gegangen ist und sich für die Versöhnung von Tschechen und Sudetendeutschen einsetzt, betont, warum die Ausstellung dennoch wichtig ist:
"Wenn wir Tschechen nicht über unsere eigene Geschichte aufgeklärt sind, dann betrügen wir uns weiterhin selbst. Wir haben ein Verständnis, dass wir immer diejenigen waren, die gelitten haben. Das muss aufhören. Wir tragen selbst auch Schuld. Wie wir mit den Sudetendeutschen umgegangen sind, ist eine Schande."
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Das „Straffreiheits-Gesetz“ Nr. 115 vom 8. Mai 1946
Das „Straffreiheits-Gesetz“ Nr. 115 vom 8. Mai 1946 (eines der so genannten „Beneš-Dekrete“) schützt die noch lebenden Täter vor einer Strafverfolgung, trotz nachweisbar begangener Verbrechen.
Der § 1, dieses bis heute noch in der tschechischen Rechtsprechung gültigen Gesetzes, lautet übersetzt wörtlich:
„Eine Handlung, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis zum 28.Oktober 1945 vorgenommen wurde und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziel hatte, ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre.“
Das Gesetz wurde am 4. Juni 1946 veröffentlicht und in Kraft gesetzt. Es trägt folgende Unterschriften:
Dr. Drtina e.h., Dr. Beneš e.h., General Svoboda, Fierlinger e.h.