Besiedlung meiner Heimat, des Schönhengstgaues, um das Jahr 1250 (Teil I)
Nach dem Einfall der Mongolen und Tataren im Jahr 1241 war das Land furchtbar verwüstet, verheert und zerstört. Viele Menschen waren ums Leben gekommen, der Rest bettelarm, die Felder zerstampft, Handel und Gewerbe lagen darnieder. Die Menschen waren verzagt und hoffnungslos. Der Grenzwald zwischen Böhmen und Mähren sollte gerodet, urbar gemacht werden.
Der energische Olmützer Bischof, Bruno von Schauenburg, * um 1204, Kanzler und Statthalter von Mähren und Steiermark (1245-1281), gilt als der große Kolonisator im Mittelalter. Im Einvernehmen mit dem deutschblütigen und deutschgesinnten König von Böhmen, Přemysl Ottokar II. (1253-1278), holte er und der König deutsche Ansiedler ins Land. Sie wurden vorwiegend in Oberfranken, Mainfranken und der Oberpfalz angeworben und sollten mit ihrer Arbeitskraft dem Land und auch der Kirche eine stetige Einnahmequelle verschaffen.
Für jede Neugründung bestimmte der König, der Bischof oder der jeweilige Grundherr einen geeigneten und erfahrenen „Locator“ (Siedlungsplaner), der für die Ansiedlung und das weitere Gedeihen des Ortes verantwortlich war.*) Zum Lohn für sein schweres Amt erhielt er gewisse Vorrechte, z.B. die Vogtei und das erbliche Richteramt. Davon ist der Name „Erbrichter“ (Erbgericht) für die Nachfolger (Erben) abgeleitet.
Die Gründungsurkunde (in lateinischer Sprache) der damals deutschen und zum Schönhengster Siedlungsgebiet gehörenden Stadt Politschka beschreibt diesen Vorgang. Der König von Böhmen, Ottokar II., wandte sich, wie aus der Urkunde vom 27. September 1265 hervorgeht, an Conrad von Löwendorf, der Laubendorf (Levendorf) um das Jahr 1260 gegründet und besiedelt hatte. Diesem übergab König Ottokar II. die mit Policzek (Feldchen) bezeichnete Gegend (= mehr als 800 Lahnen bzw. Hufen), um sie mit Ansiedlern auf Erbpacht zu besetzen und das unberührte Waldgebiet urbar/ertragreich zu machen.
(1 fränkische Hufe = 24,19 Hektar)
Eine Blütezeit erlebte meine Heimat unter Kaiser/König Karl IV. (1346-1378). Die Hussiten-Kriege (1419-1436) vernichteten diese erste Blüte. – Im Jahr 1421 näherte sich die von nationalem und religiösem Fanatismus geschürte Mordwelle der Gottesstreiter dem friedlichen Bauernland des Schönhengstgaues. Die deutschen Bewohner Politschka´s sandten, als die Stadt von den Hussiten belagert wurde, einen Hilferuf an die deutschen Nachbarstädte. Schließlich unterstellten sie sich den Hussiten. Dasselbe Schicksal erlitten auch andere deutsche Städte und Dörfer. Viele Kirchen, Klöster und Burgen gingen in Flammen auf. Die Städte Leitomischl und Zwittau ergaben sich kampflos und retteten so ihren Bürgern das Leben. Im Herbst desselben Jahres wurde Politschka zurückerobert und nahezu völlig zerstört. 1.300 Menschen sind dabei grausam hingemetzelt worden. Mein Heimatort Laubendorf und die aus Holz gebaute Kirche wurden niedergebrannt.
1424 wurden in Müglitz 700 Deutsche erschlagen. Die Verwüstungen waren so groß, dass die Stadt mehr als 31 Jahre unbewohnt blieb. Gut die Hälfte des Schönhengster Siedlungsgebietes ist damals in Schutt und Asche gesunken und die Bevölkerung ermordet worden.
Viele Städte sind dann als tschechische Städte wieder erstanden (Politschka, Leitomischl, Böhmisch Trübau, Wildenschwert, Gewitsch). Ebenso ist ein Großteil deutscher Dörfer mit tschechischen Bauern besiedelt worden. Der Schönhengstgau wurde so zur Sprachinsel.
Der Kriegsschauplatz beschränkte sich nicht nur auf Böhmen und Mähren. - Die Hussiten ver-heerten auch Schlesien, Brandenburg, Ober-Ungarn, Österreich, die Oberpfalz und Teile von Oberfranken. Aber auch nach Beendigung der Hussitenkriege ist die Leidenszeit für meine Heimat nicht beendet. Jahre hindurch war sie Kriegsschauplatz (Dreißigjähriger Krieg von 1618-1648). Verwüstungen!
*) Im Mittelalter war die Amtssprache Lateinisch. Locator ist von locus = Ort abgeleitet.
Dezember 1993
Besiedlung des Schönhengstgaues um das Jahr 1250 (Teil II)
Der Locator (auch Locatores = Unternehmer und Siedlungsplaner) war eine wagemutige und meist auch wohlhabende Person. Er hatte die Ansiedler (Bauern und Handwerker) aus der alten in die neue Heimat geführt und genoss das Vertrauen des Königs, des Bischofs oder des weltlichen Grundherrn, aber auch der Menschen, die seinem Ruf in eine höchst ungewisse Zukunft gefolgt waren. Er war verantwortlich dafür, dass die erste Ablösung für den Boden, die so genannte „Anleite“ (das Kaufgeld), für den Landesherrn oder den Grundherrn aufgebracht und bezahlt wurde. Den Rest des Wertes mussten die Ansiedler nach Ablauf einiger Freijahre als Erbzins entrichten (sog. Erbzinsleihe). Persönlich waren sie aber frei.
Der undurchdringliche und unberührte Grenzwald zwischen Böhmen und Mähren hatte eine Breite bis zu 30 km und war nur von schmalen Fußsteigen durchzogen. Das Roden dieses Waldes war damals wohl die schwerste Arbeit für Menschenhand. Es war sicher sehr mühselig, die Baumstümpfe zu entfernen und den schweren Waldboden unter den Pflug zu nehmen. Ackergeräte und Saatgut hatten die Ansiedler aus der alten Heimat mitgebracht. Den landesüblichen hölzernen Hakenpflug ersetzten sie durch ihren Bodenwendepflug mit eiserner Schar und Radvorgestell.
Viel Geld und unsägliche Mühe mussten aufgewendet werden, bevor ein erster Nutzen sichtbar wurde. Missernten galten zu überbrücken. Unwetter und Dürre brachten sie oft um den Ertrag ihrer Arbeit. Manche Ansiedler hatten sich gewiss zu viel zugemutet. Viele Wünsche blieben unerfüllt, Erwartungen wurden enttäuscht, Heimweh kam auf. Bald jedoch schlugen sie Wurzeln. Die neue Heimat hatten sie sich mühevoll erarbeiten müssen und fühlten sich nun mit ihr verbunden.
Die ersten Gehöfte waren aus Baumstämmen gezimmerte Blockhäuser. Sie lagen zu beiden Seiten der später gebauten Dorfstraße. Hinter jedem Bauernhof rodeten die Ansiedler einen Teil des Waldes und schufen sich ihre Feldfluren. Der Bach, der an einer Seite der Straße entlangfloss, spendete das nötige Wasser und trieb später auch das Mühlrad an.
Das Reihendorf (Waldhufendorf) ist Zeichen einer deutschen Gründung. Jeder Bauernhof (Vierkanthof) steht für sich allein, getrennt von den Nachbaranwesen. Dahinter lagen zusammenhängend die Äcker, Wiesen und Waldstücke. Sie reichten bis zur Gemarkungsgrenze des Dorfes.
Die Bauern konnten vom Haus und Garten unmittelbar auf das Feld und die Flur gelangen; ein jeder hatte seinen eigenen Feldweg (Hofanschluss der Felder).
Mit der Erschließung des Landes nahm der Wohlstand allgemein zu, ganz sicher auch der Einfluss und der Wohlstand des Königs, des Adels, der Bistümer sowie der weltlichen Grundherren.
„Die Städte Böhmens und Mährens sind deutscher Art und deutscher Herkunft“ schrieb der bedeutende tschechische Historiker František Palacký (* 1798 in Hotzendorf/Mähren, + 1876 in Prag) im Jahr 1836 in seinem Werk „Geschichte von Böhmen“ in deutscher Sprache.
Januar 1994
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König Přemysl Ottokar II.
Ottokar Přemysl oder auch Přemysl Ottokar (er hat selbst beide Versionen benutzt; die tschechische Namensform ist Otakar), aus dem Haus der Přemysliden (* um 1232; gefallen 26. August 1278 in Dürnkrut, in Niederösterreich) war als Ottokar II. ab 1253 König von Böhmen. Er war auch ab 1251 Herzog von Österreich, ab 1261 Herzog der Steiermark und ab 1269 Herzog von Kärnten und Krain. Damit hatte er eine für einen Přemysliden zuvor und später nie erreichte Machtfülle erlangt, was sich auch in seiner mehrfachen Bewerbung um die Krone des Heiligen Römischen Reiches zeigt.
Ottokar Přemysl war der zweite Sohn von König Wenzel I. von Böhmen und Kunigunde von Schwaben. Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt. Es werden jedoch die Jahre 1230, Herbst 1232 oder Anfang 1233 in Betracht gezogen.
Ottokar Přemysl wurde nach seinem Großvater Ottokar I. Přemysl benannt. Zum Erzieher Ottokar Přemysls wurde möglicherweise Philipp von Kärnten, Kanzler von Böhmen, berufen.
Ottokar II. rief Deutsche in das Land, um Handel, Gewerbe, Bergbau und Landesausbau dadurch zu fördern, und in einem stärkeren Mittelstand ein Gegengewicht gegen den mächtigen Landesadel zu bekommen. Er gründete Städte nach deutschem Stadtrecht und förderte die Besiedlung dieser Städte durch deutsche Handwerker und Kaufleute, die er mit weitreichenden Privilegien ausstattete.
Die überwiegend von deutschen Bergleuten betriebenen Silberminen von Kuttenberg / Kutná Hora wurden eine der Hauptgrundlagen für den Reichtum Böhmens.
Vollständiger Lebenslauf in: „Kleiner Brünner Gassenbote“ Nr. 3/2011, Seiten 73 bis 76.
Ein großer Gedenkstein wurde 700 Jahre nach der Schlacht auf dem Marchfeld zwischen Rudolf von Habsburg und Ottokar II. von Böhmen von den Gemeinden Dürnkrut und Jedenspeigen im Jahr 1978 aufgestellt. Ein Bild von dem Gedenkstein befindet sich auf der Titelseite des o.a. „Kleiner Brünner Gassenbote“.